Der kleine König – Thomas Quasthoff macht jetzt Jazz

Thomas Quasthoff hat sich seit fast einem Jahrzehnt aus der klassischen Musik zurückgezogen. Der deutsche Bassbariton war Anfang 50, als er es ankündigte – ein Alter, in dem Sänger seines Typs noch in den besten Jahren sind. Bei seinem älteren Bruder Michael war 2010 Lungenkrebs diagnostiziert worden, und diese Diagnose und der anschließende Tod seines Bruders hatten Quasthoff vorübergehend körperlich unfähig gemacht zu singen.

„Drei Tage nachdem mir gesagt wurde, dass mein Bruder nicht länger als neun Monate leben würde, verlor ich meine Stimme“, erinnert er sich. „Ärzte schauten mir in die Kehle und sagten: ‚Alles ist in Ordnung.‘ Aber mein Herz war gebrochen, und wenn das Herz gebrochen ist …Die Stimme ist der Spiegel der Seele.“

Als Grund für seinen Rücktritt im Jahr 2012 wurde ein schlechter Gesundheitszustand genannt, aber er hatte schon seit einiger Zeit seine Frustration über die Sterilität und Formalität der klassischen Musikwelt geäußert, und obwohl der Tod seines Bruders der Auslöser war, war diese Entscheidung offenbar schon lange in ihm herangereift.

„Ich wollte schon immer zu der Gruppe von Sängern gehören, die früh genug in Rente gehen. Ich wollte nie hören, dass die Leute von mir sagen: ‚Oh, du hättest ihn vor drei Jahren hören sollen.‘“

Doch seine Entscheidung war ein Schlag für das Publikum – Quasthoff war einer der weltbesten Liedsänger, gefeiert für seine  Detailtreue und seine  Direktheit als Darsteller. 2009  verlieh ihm die Royal Philharmonic Society eine Goldmedaille , ihre höchste Auszeichnung. Zu den früheren Preisträgern gehörten Brahms, Elgar, Strawinsky, Bernstein, Barenboim, Jessye Norman und Sir Simon Rattle.

Quasthoff als Amfortas in Wagners Oper Parsifal in Wien 2004.
„Ich spielte lieber Könige und Minister“ Quasthoff als Amfortas in Wagners Oper Parsifal in Wien 2004. Foto: Reuters

Dass Quasthoff eine Karriere als klassischer Sänger machte, dazu eine so erfolgreiche, war schon erstaunlich. Als sie 1959 mit ihm schwanger war, hatte seine Mutter das Medikament Thalidomid gegen die morgendliche Übelkeit eingenommen und er entwickelte eine Phokomelie , die ihn mit verkümmerten Gliedmaßen zurückließ. Er ist knapp über 1,20 m groß und das Leben war ein ständiger körperlicher Kampf, aber er ist nicht nur völlig ohne Selbstmitleid, sondern eine Naturgewalt – ausgelassen, laut, kompromisslos. Alle Angebote, den buckligen Rigoletto zu singen, lehnte er zum Beispie ab. „Ich spiele lieber Könige“

Während seiner klassischen Karriere wollte er keine Rücksicht auf seine Behinderung nehmen. 

Quasthoff war stets entschlossen, sich niemals von seiner Behinderung bestimmen zu lassen. „Ich wurde so erzogen“, erklärt er. „Meine Eltern und mein Bruder haben mich nie wie eine behinderte Person behandelt. Die Freunde meines Bruders waren meine Freunde. Ich war immer Teil eines normalen Familienlebens.“ Er zitiert gerne einen Satz seiner Frau Claudia Stelzig: „Tommy, für mich bist du nicht behindert, du bist nur kleiner. Das ist alles.“

Seit Quasthoff der Welt der Klassik den Rücken gekehrt hat und seine Stimme zurückgekehrt ist, wechselte der Sänger zum Jazz, der ihm schon immer Spaß gemacht hatte und in den er schon in seiner klassischen Zeit immer wieder eingetaucht war: 2007  hatte er ein viel beachtetes  erstes Jazz-Album herausgebracht .

„Ich habe das in meiner klassischen Zeit sehr selten gewagt, weil es eine andere Art zu singen ist, aber jetzt habe ich ein neues Instrument gelernt – das Mikrofon – und ich liebe es.“ 

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